Der Angeklagte sitzt neben einem Justizwachebeamten mit Sturmhaube auf dem Angeklagtenstuhl, neben ihm beugt sich sein Verteidiger hinunter, um mit ihm zu sprechen.
Bis zu zehn Jahren Haft drohen dem Angeklagten, der vor der Verhandlung noch von seinem Verteidiger Leonhard Kregcjk beraten wird.
DER STANDARD / moe

Wien – Gleich sieben unterschiedliche Delikte in verschiedenen Ausprägungen werden dem 20-jährigen Herrn G. vom Staatsanwalt vorgeworfen. Vom Verstoß gegen das Waffengesetz über gefährliche Drohung und versuchte absichtliche schwere Körperverletzung bis hin zur Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung spannt sich der juristische Bogen. Nach sieben Monaten in Untersuchungshaft sitzt der Unbescholtene nun vor einem Schöffengericht und gibt sich reuig: "Es ist einfach nur schrecklich, was ich getan habe. Es ist unmenschlich!" Seine Geschichte, wie es in den Jahren 2022 bis 2023 zu so vielen massiven Taten gekommen ist, klingt kurios.

Bis zum Alter von 15 Jahren war der in Wien in eine islamische Familie geborene Österreicher unauffällig gewesen, bestätigen auch der psychiatrische Sachverständige und die Jugendgerichtshilfe. Dann stellten sich Angstzustände und depressive Verstimmungen ein, die auch medikamentös behandelt wurden. Am 2. November 2020 erschoss der Wien-Attentäter dann einen Bekannten des Angeklagten – "zu der Zeit habe ich einen Hass auf den IS gehabt", sagt er vor Gericht dazu.

Von der Information zur Radikalisierung

Er wollte mehr über die Terrororganisation herausfinden, informierte sich im Internet. Und so wurde er selbst radikalisiert und zum Anhänger der ebenfalls in Syrien aktiven damaligen Al-Nusra-Front. "Ich habe sie als Alternative zum IS gesehen, sie waren auch gegen Assad und gegen den IS", begründet er seine Wahl. Ab Frühjahr 2022 war er Administrator von zumindest zwei Chatkanälen, versandte Videos von Massenerschießungen, die er mit Kommentaren wie "It's a good way to kill" versah. Auch Bombenbauanleitungen teilte er oder informierte einen anderen Teilnehmer über den drohenden Strafrahmen für Terrorpropaganda: "If they catch me, up to three years."

Aus Deutschland wurden die heimischen Staatsschützer auf die Umtriebe aufmerksam gemacht, ein halbes Jahr später war er enttarnt, und es kam im März 2023 zu einer Hausdurchsuchung, bei der G.s Mobiltelefon sichergestellt wurde. Bei der Auswertung staunten die Beamten nicht schlecht, nachdem sie vermeintlich gelöschte Videos rekonstruiert hatten: Die Aufnahmen zeigten grundlose Gewalttaten gegen Passanten, die entweder der Angeklagte selbst begangen hatte oder bei denen er Freunde filmte.

Sein erster Angriff ist zugleich der schwerwiegendste. Zu sehen ist, wie der damals 18-Jährige in einer nächtlichen Unterführung mindestens 15 Mal mit einer Metallstange auf einen vermutlich wohnungslosen Schlafenden einprügelt. "Gib ihm auf den Kopf! Fick seine Mutter jetzt!", sind seine Begleiter zu hören, die auch die Schreie des Opfers nachäffen. "Du hast mich beleidigt, du Hurensohn!", sagt der Angeklagte, als er den Verletzten liegen lässt.

Eine Woche am Bahnhof Floridsdorf

Im Mai 2023 kommt es am Bahnhof Floridsdorf in nur einer Woche zu mehreren gefilmten Gewalttaten von G. und seinen Komplizen. Schüsse aus Gaspistolen, Bedrohungen mit Messer, Fußtritte und Faustschläge gegen die Köpfe von Obdachlosen und Passanten. Mehrere Filme zeigen auch Jugendliche, die auf dem E-Scooter fahren und wahllos gegen Fußgänger treten.

Der von Leonhard Kregcjk verteidigte und gut gecoachte Twen bekennt sich in allen Anklagepunkten schuldig und gibt sich zerknirscht. Auch bei den anwesenden Opfern entschuldigt er sich: "Es tut mir aus tiefstem Herzen leid, was ich dir angetan habe!", sagt er zu einem etwa Gleichaltrigen. "Angenommen. Ich wünsche dir alles Gute!", akzeptiert der.

"Pussy" und "kein Mann"

Dem Vorsitzenden lässt ein Punkt keine Ruhe: "Warum haben Sie das alles gefilmt? Ich kann es nicht nachvollziehen. Was gibt das einem?", will er vom Angeklagten wissen. "Wir haben das herumgeschickt", argumentiert G. und sagt, er habe damals die falschen Freunde gehabt. Vor dem Angriff mit der Metallstange hätten ihn seine Begleiter gehänselt, er sei eine "Pussy" und "kein Mann", sagt der laut Gutachten Zurechnungsfähige.

Der schließlich nicht rechtskräftig zu fünf Jahren Haft verurteilt wird, von denen eineinhalb unbedingt sind. Nach seiner Entlassung muss G. weiter Bewährungshilfe in Anspruch nehmen und die Deradikalisierungsstelle Derad besuchen, eine Psychotherapie absolvieren und sich psychiatrisch behandeln lassen. (Michael Möseneder, 22.4.2024)