Es ist selten, dass sich in Österreich ein führender Wirtschaftsforscher und der Finanzminister so öffentlich streiten wie derzeit Christoph Badelt und Magnus Brunner. Oberflächlich gesehen geht es um eine Zahl, das Haushaltsdefizit in diesem Jahr. Während der Präsident des Fiskalrats überzeugt ist, dass das Defizit wegen der schwachen Konjunktur und einer großzügigen Ausgabenpolitik die von der EU vorgegebene Dreiprozentmarke durchbrechen wird, zeigt sich der Finanzminister zuversichtlich, dass er erneut darunter bleiben wird.

Die Schulden früherer Jahre verringern den Spielraum für Finanzminister Magnus Brunner und die ganze Republik.
Die Schulden früherer Jahre verringern den Spielraum für Finanzminister Magnus Brunner und die ganze Republik.
Foto: APA / ROBERT JAEGER

Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte geben Brunner recht: Im tatsächlichen Budgetvollzug fallen die Defizite meist niedriger aus als prognostiziert. Das könnte auch heuer gelingen, wenn das Wachstum und damit die Steuereinnahmen nicht noch weiter zurückgehen.

Aber Badelts Kritik geht weiter und trifft den wunden Punkt der Budgetpolitik, die seit fast 25 Jahren von ÖVP-Ministern bestimmt wird: Diese sprechen zwar viel und gerne über Sparsamkeit und Nulldefizite, aber verfolgen eine Ausgabenpolitik, die Staatsschulden nach und nach in die Höhe treibt.

Anstieg in der Rezession

Für jeden dieser Sprünge gibt es gute Gründe. Oft treiben durch äußere Umstände verursachte Rezessionen wie die Weltfinanzkrise vor 15 Jahren oder die Corona-Pandemie das Defizit hinauf, weil Steuereinnahmen ausbleiben und der Staat gegenzusteuern versucht. Das wahre Problem sind die Zeiten dazwischen, wenn die Konjunktur läuft und die Schulden ohne große Schmerzen zurückgefahren werden können.

Das geschieht auch, aber meist zu langsam. Schließlich gibt es viele Pensionisten, denen ein paar Euro mehr im Monat den Alltag erleichtert. Das ist aus sozialer Sicht richtig, aber besonders teuer – und führt dazu, dass der Budgetzuschuss zum Pensionssystem bereits ein Viertel des Haushalts ausmacht. Auch die Bauernschaft und andere Wirtschaftstreibende werden regelmäßig bedient, wenn sie laut nach Hilfe rufen. Dieser Lobbyismus fällt in Österreich wenig auf, er ist Teil des Systems.

Belastung durch steigende Zinsen

Kommen dann neue Herausforderungen hinzu, dann steigt der Geldbedarf enorm. Die lange Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank hat der Republik viele Milliarden erspart, doch diese Zeit ist vorbei – und die Defizite von einst verursachen nun höhere Kosten.

Nach Jahren des brutalen Sparens beim Heer muss seit dem russischen Überfall auf die Ukraine mehr Geld in die Rüstung gesteckt werden. Und jetzt sind auch die schleichenden Steuererhöhungen durch die kalte Progression weggefallen. Das bringt mehr Ehrlichkeit in die Fiskalpolitik, aber raubt dem Finanzminister ein Mittel, um neue Ausgaben zu finanzieren.

Nicht Abgrund, aber Stagnation

Österreich kann sich höhere Schulden leisten, selbst wenn sie gegen EU-Vorgaben verstoßen. Aber wie Badelt im STANDARD-Interview sagt: Mit jeder zusätzlichen Schuldenmilliarde wird der Spielraum für die nächste Krise geringer. Es fehlt an Geld für Investitionen in die Zukunft wie Forschung, Bildung oder Klimaschutz. Steuern und Abgaben bleiben hoch, ohne dass der Staat die beste Leistung erbringt. Das Beispiel Italien zeigt, wohin das langfristig führt – nicht in den Abgrund, aber in die Stagnation.

In einem Wahljahr ist langfristiges Denken nicht zu erwarten. Aber vielleicht schafft die nächste Regierung eine Trendwende – womöglich mit einem Finanzminister anderer Couleur. (Eric Frey, 22.4.2024)