Bahareh Heravi, Professorin für KI und Medien, und Medienexperte Nic Newman beim Internationalen Journalismusfestival (IJF) im italienischen Perugia.
Nicola Höpfl

"Die spaltende Kraft der Künstlichen Intelligenz (KI) wird weltweit den Informationsraum durchdringen", schreibt Nic Newman vom Reuters Institute for the Study of Journalism über das Jahr 2024. Der Medienwissenschafter ist Hauptautor des jährlichen Trendberichts des Reuters Institute sowie des "Digital News Reports", der weltweit größten Studie zum Nachrichtenkonsum. Dort gab im Jahr 2023 mehr als ein Drittel aller Befragten an, Nachrichten oft oder manchmal zu meiden. Das Vertrauen in Nachrichten ist im letzten Jahr indes um weitere zwei Prozentpunkte auf durchschnittlich 40 Prozent gesunken.

Ebenfalls im Jahr 2023 startete die Open Society Foundation einen Wettbewerb für KI im Journalismus (AI in Journalism Challenge, AIJC), um den Einsatz von KI-Prototypen in Nachrichtenredaktionen weltweit anzutreiben. Bahareh Heravi, Professorin für Medien und KI an der University of Surrey, betreute jene zwölf Redaktionen, die dafür KI-Projekte entwickelten.

Beim Internationalen Journalismusfestival (IJF) in Perugia hat DER STANDARD mit Newman und Heravi über dieses Spannungsverhältnis gesprochen.

STANDARD: Wie würde eine generative KI dieses Interview beginnen?

Heravi: Eine KI würde wahrscheinlich einen kleinen Vortrag zu Nachrichtenvermeidung geben und wäre insgesamt sehr unspezifisch.

Newman: Das Interview würde auf jeden Fall mit einer kurzen Zusammenfassung starten. Es wäre sehr gut geschrieben und würde auf den ersten Blick glaubhaft wirken. Ob der Einstieg dann aber wirklich überzeugt, ist eine andere Frage.

STANDARD: Warum?

Newman: Viele Menschen haben mittlerweile eine gewisse Grundskepsis, wenn sie Medien online lesen. Dazu kommt nun auch Skepsis gegenüber KI dazu.

Natürlich kommt es aber auch darauf an, mit wem man darüber spricht. Junge Menschen nutzten KI regelmäßig und sind zum Teil auch schon sehr versiert darin. Ältere Menschen dagegen haben wenig Erfahrung damit oder keine Meinung dazu. Sie glauben dem Zugang vieler Medien, der ebenfalls sehr skeptisch ist.

STANDARD: Ist dieser zunehmende Skeptizismus im Umgang mit KI auch ein Grund für Nachrichtenvermeidung?

Newman: Viele Menschen haben noch nie Deepfakes gesehen (Fotos, Videos oder Audio-Dateien, die durch KI manipuliert werden, Anm.). Wir reden zwar in der Branche viel über Künstliche Intelligenz, meiner Meinung nach hat KI die Mediennutzung und das damit verbundene Vertrauen aber noch nicht signifikant beeinflusst.

Heravi: Problematischer als das Erkennen von KI-generierten oder durch KI manipulierten Inhalten ist die sogenannte Dividende des Lügners. Wenn Menschen nicht mehr wissen, was sie glauben können, nehmen sie an, dass entweder alles oder nichts wahr ist. Dann sind sie auch skeptisch gegenüber echten Inhalten.

"Wenn Menschen nicht mehr wissen, was sie glauben können, nehmen sie an, dass alles oder nichts wahr ist."

Newman: Diese Skepsis hatten wir aber auch schon vor der KI-Ära. Dafür sorgte die Flut an Informationen, die von sozialen Medien generiert wurden. Wie sich KI auf die Mediennutzung auswirken wird, wissen wir aber noch nicht. Dazu ist es noch zu früh.

Heravi: Audio-Inhalte werden künftig wohl am meisten für Kopfzerbrechen sorgen. Wenn eine Stimme wie US-Präsident Joe Biden klingt, können die Menschen sehr leicht davon überzeugt werden, dass es sich tatsächlich um den Präsidenten handelt.

STANDARD: Könnte KI in Zukunft ein Grund für das Meiden von Nachrichten werden?

Newman: Das ist die große Frage. 70 Prozent von mehr als 300 Herausgeberinnen und CEOs von Medienunternehmen aus unterschiedlichsten Ländern fürchten unseren Erhebungen zufolge, dass das Vertrauen in die Medien durch KI zusätzlich abnimmt. Diese Entwicklung gilt es zu beobachten. Zwei Szenarios sind möglich: Die sozialen Medien werden aufgrund der Menge an unzuverlässigen Inhalten unbenutzbar, und die Menschen wenden sich wieder traditionellen Medien zu. Oder Menschen verlieren völlig das Vertrauen. Das wäre ein besonders beunruhigendes Szenario für unsere Gesellschaft.

STANDARD: Drehen wir die Frage um: Wie könnte man KI einsetzen, um Menschen wieder zum Nachrichtenkonsum zu animieren?

Heravi: Nehmen wir an, eine Redaktion hat viel Zeit und Recherche in einen langen Artikel gesteckt. Mit Künstlicher Intelligenz kann dieser eine Artikel in unterschiedliche Medienprodukte für unterschiedliche Zielgruppen adaptiert werden. KI könnte aus einem Artikel eine lange, eine kurze, eine unterhaltsame Version desselben Artikels erstellen. Oder ein Text wird zu einem Bild oder einem Video. Am Ende dieser Prozesse sollte aber ein Mensch stehen.

Newman: Manche Menschen meiden Nachrichten, weil sie sie zu kompliziert finden oder Schwierigkeiten beim Lesen haben. Wandelt man nun mit KI eine komplexe Geschichte in Audio oder eine andere Version um, erreicht man vielleicht auch wieder Menschen, die Nachrichten zuvor gemieden haben.

"Wandelt man mit KI eine komplexe Geschichte in Audio oder eine andere Version um, erreicht man vielleicht auch wieder Menschen, die Nachrichten zuvor gemieden haben."

STANDARD: Der Einsatz von KI im Journalismus war Gegenstand Ihrer "AI in Journalism Challenge". Was waren die spannendsten Projekte aus Ihrer Sicht?

Heravi: Das kolumbianische Investigativ-Medium Cuestión Pública etwa nutzte in seinem Projekt "Odin" Künstliche Intelligenz, um Texte aus der eigenen Investigativ-Datenbank zu generieren. (Damit konnten Breaking News schnell mit eigenen Zusatzinformationen kontextualisiert werden. Anm.) Gleichzeitig erstellte die KI auch einen vorbereiteten Thread für die soziale Plattform X im Stil des Mediums, gezielt zugeschnitten auf Cuestión Pública-Leserinnen und Leser. Das philippinische Medium Rappler (der Gewinner des Wettbewerbs, Anm.) hat in seinem Projekt "TL;DR" (too long, didn't read, Anm.) mit einem KI-Tool Comics generiert.

Newman: Rappler hat aus seinen Artikeln eine eigene Marke für eine junge Zielgruppe geschaffen. Es bleibt abzuwarten, ob das wirklich funktioniert. Aber KI kann auf jeden Fall eine große Hilfe bei der Ressourcenfrage sein, indem mit der gleichen Anzahl an Journalistinnen und Journalisten mehr Zielgruppen erreicht werden.

STANDARD: Wie können wir sicherstellen, dass die KI trotzdem keine Falschinformationen generiert?

Heravi: In den letzten zehn Jahren sind einige Medien entstanden, die sich auf Faktenchecks fokussieren. Viele dieser Medien werden ihren Fokus meiner Meinung nach bald auf die Überprüfung von KI-generierten Inhalten legen.

Newman: Eine Reihe von Medienunternehmen richtet auch eigene Faktencheck-Teams ein, zum Beispiel BBC verify. Wenn Journalisten auf diese Art und Weise ihrer Arbeitsprozesse offenlegen, steigt damit vielleicht auch wieder das Vertrauen in Medien.

STANDARD: Wie könnte ich dieses Interview mit KI verändern, damit es mehr Menschen erreicht?

Newman: Das kommt darauf an, wen Sie erreichen wollen. Kombiniert man Ihre Idee mit Künstlicher Intelligenz, kann diese Idee vielleicht besser, kürzer oder unterschiedlichen Zielgruppen vermittelt werden. Ich glaube, diese Kombination ist der Schlüssel. (Anna Wiesinger, 22.4.2024)