Politik und Diplomatie der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten spielten schon viele Jahre lang keine sehr glückliche Rolle, wenn es um Stabilität und Friedenssicherung in der Nachbarschaft ging. Das galt und gilt nicht nur für die Ukraine – schon als man 2014 trotz der Annexion der Halbinsel Krim durch Russland glaubte, die Beziehungen mit Zurückhaltung noch retten zu können.

Wenig erfolgreich war die EU auch im Nahen Osten. Das Verhältnis zu Israel war lange Zeit angespannt. Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel zeigten sich europäische Vertreter zudem oft gespalten. Viele positionierten sich beim EU-Gipfel im vergangenen März – aber auch davor – ganz offen und stark aufseiten der Palästinenser.

Seit dem ersten direkten Angriff des Iran gegen Israel am vergangenen Wochenende ist die Lage nun noch komplizierter geworden. Als vermittelnde "sanfte" Macht im Konflikt mit dem Iran wegen dessen Atomprogramm hatten sich die EU-Vertreter lange auf dem richtigen Weg gesehen. Doch der Iran erweist sich als unberechenbar.

Annalena Baerbock (vorn rechts) versucht Benjamin Netanjahu (hinten links) klarzumachen, dass Zurückhaltung auch einmal Stärke sein kann.
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Die 27 Staats- und Regierungschefs der Union wollten ab Mittwochabend bei einem Sondergipfel beraten, wie sie ihre gemeinsame Position an die Entwicklungen anpassen könnten. Eine Verschärfung der seit langem bestehenden Sanktionen gegen den Iran steht dabei genauso im Raum wie das Bekenntnis, das Existenzrecht Israels ebenso zentral zu bekräftigen wie auch das Recht auf Selbstverteidigung. Der Iran soll daran gehindert werden, Drohnen zu bauen, die er auch an Russland liefert und die wiederum gegen Infrastruktureinrichtungen und Zivilisten in der Ukraine verwendet werden. Bisher haben Embargomaßnahmen nur auf dem Papier funktioniert.

Abseits von solchen grundsätzlichen Erwägungen bemühen sich Europas Diplomaten, abgestimmt mit den USA, vor allem darum, die israelische Regierung davon zu überzeugen, sich bei einem Gegenschlag gegen den Iran so weit wie möglich zurückzuhalten, "vernünftig" und "mit kühlem Kopf" zu reagieren. Am besten wäre überhaupt kein Angriff, wird befunden. Der Ständige Ratspräsident Charles Michel wünscht explizit "größtmögliche Zurückhaltung".

"Zurückhaltung ist Stärke"

Das gab auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bei einer Kurzvisite gemeinsam mit ihrem britischen Kollegen David Cameron in Jerusalem zu verstehen, bevor sie zum G7-Außenministertreffen auf Capri weiterflog: Die aktuelle Lage verlange nach "Besonnenheit von allen Beteiligten". Man könne von der Regierung unter Benjamin Netanjahu zwar nicht erwarten, nach der "präzedenzlosen Eskalation" durch den Iran einfach "klein beizugeben", sagte sie; nun gehe es aber darum, "kluge Zurückhaltung zu zeigen, die nichts weniger ist als Stärke". Stärke habe Israel schon in seinem "Defensivsieg" in der Nacht auf Sonntag gezeigt – der Iran hingegen stehe "schwach und isoliert" da.

Aus Israels Sicht ist klar: Eine Reaktion auf den iranischen Angriff wird es geben – unklar ist nur, wann, wo und wie. Es gilt, zwei miteinander in Konflikt stehende Ziele zu vereinbaren: die "Wiederherstellung der Abschreckung" durch einen harten Schlag einerseits und die Vermeidung eines regionalen Flächenbrands andererseits. Das Spektrum der Möglichkeiten ist groß: von einem Cyberangriff über gezielte Tötungen in Syrien und im Libanon bis hin zu einem Angriff auf iranische Infrastruktur.

Schon vor ihrem Besuch hatte Baerbock Israel aufgerufen, nicht zusätzlich "Öl ins Feuer" zu gießen. Apropos Öl: Das spielt auch im aktuellen Konflikt keine geringe Rolle. Israel verlangt von den USA und der EU schärfere Sanktionen gegen den Iran. Das droht aber den Ölpreis hinaufzutreiben, und dazu ist die Bereitschaft im Superwahljahr 2024 enden wollend.

Israels Außenminister Israel Katz machte nach dem Treffen mit Baerbock und Cameron klar, dass man hohe Erwartungen an Europa habe, damit meine man nicht nur ein Drehen an der Sanktionsschraube: "Jetzt ist unsere Gelegenheit, die Verhältnisse in der Region von Grund auf zu verändern. Nennt die Revolutionsgarden bei ihrem Namen: Sie sind eine Terrororganisation." Die USA haben die Revolutionsgarden längst auf die Terrorliste gesetzt – in der EU blieb ein solcher Schritt bislang aus.

Nicht nur Israel, auch Ukraine

Zurück nach Brüssel: Ein weiteres wichtiges Thema beim EU-Gipfel wird die Lage in der Ukraine sein. Kiew bemüht sich seit Wochen vergeblich um eine Aufstockung der Lieferung von Abwehrsystemen und schweren Waffen. Aber die EU-Partner kommen dabei nur zäh voran. Wie schon in früheren Erklärungen wird man beim Gipfel geloben, dass die Lieferungen nun rasch vorangetrieben werden.

Die ursprüngliche Gipfelagenda – Beratungen über die wirtschaftliche Lage und wie Europa in der Konkurrenz mit den USA und asiatischen Staaten, China voran, wettbewerbsfähiger wird – wurde vorsorglich gleich auf Donnerstag verschoben. (Thomas Mayer aus Brüssel, Maria Sterkl aus Jerusalem, 17.4.2024)