Ein Schild Second Hand am Second Hand Store der Sozialistischen Selbsthilfe Köln
Längst sind es nicht mehr nur karitative Einrichtungen, die Gebrauchtem neues Leben einhauchen.
IMAGO/Future Image

Links in einer Vitrine eine Playstation 5, im Ausstellfenster an der Vorderseite glänzende Uhren, auf einem Regal ein elektrischer Suppentopf: Es ist eine bunte Mischung, die auf der überschaubaren Verkaufsfläche von Kadir zu finden ist. Was die Waren eint: Sie alle sind gebraucht, secondhand. Mit langjähriger Erfahrung kauft der 37-Jährige Gebrauchtes an, durchforstet regelmäßig Flohmärkte, noch bevor die erste Kundschaft da ist. "Da musst du schnell sein, am besten gleich in die Vans und Kofferräume schauen, wenn noch ausgeräumt wird", erzählt Kadir, während er ein altes TV-Gerät für einen Stammkunden streamingfähig macht. Der Job mache ihm Spaß, vor allem auch deshalb, weil er viele seiner Kundinnen und Kunden hier im zehnten Bezirk mittlerweile gut kenne. Und dennoch: Die Situation ist alles andere als leicht.

Viele seiner Konkurrenten hätten zusperren müssen, spätestens seit der Pandemie gehe es für Gebrauchtwarenläden mit breitem Sortiment bergab. Zeitweise Nachfragerückgänge, steigende Miet- und Energiekosten und übermächtige Onlinehändler und -plattformen machten das Leben schwer. "Mal sehen, wann es mich trifft", sagt Kadir, dem der tägliche Stress seines Ein-Mann-Unternehmens trotz seines energiegeladenen Naturells ins Gesicht geschrieben steht. In der schönen Jahreszeit sei besonders viel zu tun, so manche Siebentagewoche sei nicht zu verhindern. Neukunden ließen sich trotz des Aufwands und der persönlichen Beratung aber kaum an Land ziehen. Am Leben erhalten wird das seit 2010 nahe dem Reumannplatz situierte Geschäft von der Stammkundschaft.

Online-Angebote treiben Markt an

Dabei boomt die Secondhandbranche seit Jahren – nur profitieren eben nicht alle gleichermaßen davon. Während Vintage-Modeläden aus dem Boden zu sprießen scheinen und eine Online-Verkaufsplattform auf die nächste folgt, stehen Geschäfte wie jenes von Kadir unter Druck. Mit Secondhandkleidung und Möbeln unter dem Label "Vintage" lässt sich offenbar gut verdienen, stationäre Händler für allerlei sehen sich stattdessen mit der Abwanderung der Kundschaft in Richtung Willhaben und Ebay konfrontiert.

Genaue Zahlen zu Fachgeschäften und branchenweiten Umsätzen lägen allerdings nicht vor, heißt es auf STANDARD-Anfrage beim Handelsverband. Analog zu Deutschland rechne man aber mit einem Umsatzvolumen von zwei Prozent des gesamten Einzelhandelsvolumens. Beobachtbar sei jedenfalls, dass der Secondhandmarkt "von diesem geringen Niveau ausgehend stärker wächst als der Einzelhandel insgesamt". In Deutschland wuchs der Gebrauchtwarenmarkt jedenfalls um durchschnittlich 4,9 Prozent jährlich, machte zuletzt 15 Milliarden Euro aus. In Österreich bezifferte das Umweltbundesamt die Menge an geschenkten und verkauften Gebrauchtwaren auf 142.000 Tonnen bei der erstmaligen und bisher einzigen Erhebung 2021.

Ein Fahrrad wird repariert.
Während der Gebrauchtwarenmarkt bei Autos und Fahrrädern weitgehend etabliert ist, steht Secondhand bei anderen Produktgruppen noch am Beginn des Wachstums.
Getty Images/Predrag Vuckovic

Dass es vor allem das Onlinegeschäft ist, das aktuell profitiert, bestätigt auch der deutsche Handelsverband. "Der Hebel (des Wachstums, Anm.) ist die Digitalisierung", heißt es in einem Branchenbericht vom Vorjahr. Sinnbildlich dafür steht etwa Vinted. 2008 in Litauen gegründet, verzeichnete der Onlinemarktplatz für Secondhandmode ein rasantes Wachstum bis zum Einhornstatus – also einer Firmenbewertung von mehr als einer Milliarde Euro.

Modekonzerne mit ausgeklügeltem System

Über Website und App können registrierte Nutzerinnen und Nutzer gebrauchte Kleidungsstücke handeln, Vinted selbst finanziert sich über Werbeplatzierungen. Mehr als 100 Millionen Menschen in 21 Märkten nutzen die Verkaufsplattform mittlerweile. Zwischen 2019 und 2022 hat sich der weltweite Umsatz auf rund 370 Millionen Euro mehr als vervierfacht. Einzig die Gewinnzone ist noch in weiter Ferne, zuletzt belief sich der Verlust auf rund 47 Millionen Euro – wohl auch das Ergebnis eines ambitionierten Expansionskurses.

Und selbst bekannte Modekonzerne reiten mittlerweile auf der Welle, die durch Nachhaltigkeitsbestreben, günstige Preise und Lifestylefaktoren immer größer zu werden scheint. So hält H&M dank Millioneninvestments Mehrheitsanteile an der aufstrebenden Secondhandplattform Sellpy, Onlinehändler Zalando bietet seit 2020 ein Sortiment an ausgewählter Gebrauchtkleidung an, und sogar der chinesische Billighändler Shein fährt mit einer eigenen Secondhandschiene auf.

Dafür gibt es mehrere Gründe: Einerseits wächst der Markt für Gebrauchtwaren stetig, womit sich ein neues Geschäftsfeld auftut. Gleichzeitig sind die Secondhandangebote so konzipiert, dass sie den eigenen Absatz stärken. So werden etwa bei Zalando nur jene Kleidungsstücke angenommen, die zuvor auch im Shop gekauft wurden. Als Gegenleistung gibt es zumeist einen Gutschein, der ebenfalls ausschließlich beim Unternehmen einlösbar ist. Andererseits bekommen die vielgescholtenen Modekonzerne einen grünen Anstrich und können ihre Ökobilanzen schönen.

Vor allem bei jungen Menschen und jenen mit weniger Einkommen ist Secondhand beliebt. Aber lässt sich damit auch Geld verdienen?

Teuerung kaum bemerkbar

Noch ist der Anteil jener, die Secondhandkleidung anbieten, aber schwindend gering. Dem Circular Fashion Index der Unternehmensberatung Kearney zufolge bieten von 200 untersuchten Modemarken nur fünf Prozent gebrauchte Textilien an. Generell stecke die Modebranche in Sachen Kreislaufwirtschaft noch in den Kinderschuhen, lässt sich aus dem letztjährigen Bericht herauslesen. In anderen Bereichen ist die Wiederverwendung indes schon weiter fortgeschritten, etwa bei Autos, Fahrrädern und Büchern.

Insgesamt dürfte die steigende Nachfrage nachhaltiger Natur sein. Denn hört man sich in der Branche um, hatte die Inflation überraschend wenig Einfluss auf die Handelsvolumina. Das deutet darauf hin, dass stabilere Trends für das Wachstum sorgen. Neben ökologischem Bewusstsein und Lifestylefaktoren dürfte es auch der Einfluss aus Brüssel sein. Denn die EU will Fast Fashion eindämmen und die Lebensdauer auch von Elektroartikeln und anderen Gütern verlängern, hat dafür eine Reihe von Gesetzen auf den Weg gebracht. Auch auf nationaler Ebene gibt es mit dem Reparaturbonus bereits staatliche Förderungen für die Verlängerung der Produktlebensdauern.

Kadir jedenfalls will sein kleines Geschäft auch im Angesicht der schier unüberwindbaren Herausforderungen nicht aufgeben. Sollte es am aktuellen Standort nicht klappen, "dann mache ich ein neues Geschäft im 23. auf", zeigt sich der Gebrauchtwarenhändler kämpferisch. Dort ortet er mehr Potenzial. Und dass Gebrauchtwaren insgesamt an Bedeutung gewinnen, dürfte immerhin gewiss sein. (Nicolas Dworak, 18.4.2024)