Meidlinger Schutzgeldbande
Mitte Mai wird der zehnköpfigen mutmaßlichen Meidlinger Schutzgeldbande am Wiener Landesgericht der Prozess gemacht.
Armin Karner

Es war im vergangenen November, als in der Wiener Justizanstalt Josefstadt ein unerlaubter Briefkontakt zweier Insassen aufflog. Der Inhalt des Stücks Papier war brisant: Es handelte sich um eine Absprache aus dem Inneren einer mutmaßlichen Gang. Die Ansage: Wir belasten uns keinesfalls gegenseitig. Vielmehr wurden zwei Abtrünnige auserkoren, die aus Sicht der Verschworenen bei der Polizei wohl etwas zu viel geplaudert hatten. Der Plan lautete: Denen schieben wir ab jetzt alles in die Schuhe.

Bei der Gang handelt es sich um die mutmaßliche Meidlinger Schutzgeldbande. Diese griff den gesamten September über mehrfach einen Handyshop in Wien an – etwa mit Böllern, Molotowcocktails und einem bewaffneten Überfall. Das alles sollen die zehn Burschen und jungen Männer im Alter von 14 bis 21 Jahren laut Ermittlungsakte gemacht haben, um Schutzgeld einzutreiben. DER STANDARD berichtete. Am 17. Mai beginnt der Gerichtsprozess gegen die Jugendlichen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Smartphone her oder Gefängnisumzug

Der aufgeflogenen Briefwechsel tauchte nun erstmals in der Anklageschrift gegen die Gang auf. In den versuchten Schriftverkehr involviert gewesen sein soll jedenfalls ein 17-jähriger Wiener mit bosnischen Wurzeln. Der gilt als einer der beiden Anführer der Bande. Mitunter er verpasste ihr den Namen "Schutzgeld Mafia Tokarew", frei nach der gleichnamigen sowjetischen Pistole. Und es ist nicht das erste Mal, dass er in Haft für Aufregung sorgte: In der Ermittlungsakte wurde vermerkt, dass der Jugendliche nach seiner Inhaftierung immer öfter versucht habe, mit Komplizen in Kontakt zu kommen. Zudem wird er als manipulativ beschrieben.

So versuchte der mutmaßliche Capo etwa, mit einer durchschaubaren Finte an ein Handy zu kommen. In Betreuungsgesprächen sprach er von einem "Übermittler" auf freiem Fuß, der ihm ein pikantes Gerücht erzählt habe, das außerhalb der Gefängnismauern die Runde mache: Man wolle an ihm "Rache" nehmen. Wer dem Burschen das gesteckt hat, wollte er nicht sagen. Aber um eine Vendetta abzuwenden, brauche er ein Smartphone. Sollte das nicht klappen, wolle er eben in eine andere Justizanstalt übersiedeln, weil man dort angeblich "einfacher an ein Handy drankommen" könne. In der Zelle verfasste der Jugendliche zudem mehrere gewaltverherrlichende Texte.

Schweigen aus Ehre und Loyalität

Und es wurde Druck ausgeübt: Einer der Burschen, der bisher mit den Ermittlern kooperierte, verhielt sich mit einem Mal völlig anders. In einer Einvernahme war er den Tränen nahe, machte offenbar bewusst falsche Angaben, um nur noch sich selbst zu belasten. Der Häftling gab später an, im Gefängnis von Mitbeschuldigten angesprochen worden zu sein. Sie sollen ihm seine bisherigen Aussagen in der Causa vorgeworfen haben. Wohl aus Ehre und Loyalität wollte er nun nichts mehr sagen.

Wer ihn zum Schweigen gebracht hat, gab er nicht preis – wohl aus Angst vor seinen ehemaligen Wegbegleitern aus einem Meidlinger Park. Mit diesem Gefühl, so steht es in der Anklage, war er innerhalb der Bande nicht alleine. Der Name des verängstigten Jugendlichen stand übrigens in dem erwähnten Brief, den die Justizwache konfiszierte.

Der zweite Jugendliche, der in dem Brief Erwähnung fand, wurde nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft auf freiem Fuß auf der Straße abgepasst – von zwei Personen, die zuvor zeitgleich mit ihm im Gefängnis waren. Der Bruder eines weiteren mutmaßlichen Anführers der Bande suche ihn, lautete die Ansage. Der Angesprochene verstand das als Einschüchterungsversuch. Wohl nicht zu Unrecht.

Denn selbst in einem anderen Wiener Gefängnis verbreiten die mutmaßlichen Anführer der Gang durchaus Angst. Ein vermutetes Schutzgeldopfer des Jugendlichen, das sich ebenfalls in Haft befindet, bekam von einem Insassen ausgerichtet, dass der 17-jährige Wiener mit bosnischen Wurzeln mit ihm "noch nicht fertig" sei und weiterhin tausende Euro von ihm einfordern werde. Das Opfer fürchtet, dass etwas passieren könnte, sollte es vor Gericht aussagen. Ende Februar äußerte er in einem Brief Angst um sein Leben.

Tabak gegen Schuhe: Schlägerei

Es sind Vorkommnisse wie diese, weshalb die Untersuchungshäftlinge der mutmaßlichen Meidlinger Schutzgeldgang auseinandergesperrt wurden. Sechs mutmaßliche Mitglieder der Bande sitzen aktuell noch im Gefängnis. Seit der Trennung dürfte es dort auch ruhiger um die Burschen geworden sein. Zumindest wurden keine Vorfälle mehr veraktet.

Der Bursche, der plötzlich nichts mehr sagen wollte, verhielt sich zuvor aber selbst nicht gerade zimperlich: Einmal wollte er im Hof des Gefängnisses von einem Häftling Tabak haben. Der wiederum schlug ein Tauschgeschäft vor und spitzte dabei auf die Schuhe des Meidlinger Schutzgeld-Teens. Als der Bursche den Deal ablehnte, kam es schließlich zu einer Rauferei – wobei der nun Schweigsame nicht den ersten Schlag setzte. Einem anderen Insassen ging er wohl an die Gurgel, weil der angeblich seine Mutter und seine Schwester beleidigt hatte.

Das Kommando-Gerücht

Stress bereitete den Ermittlern außerdem eine angebliche Bombe, die im Kreise der Jugendlichen gebastelt worden sein soll. Gefunden wurde sie nie. Aber es existieren reichlich Chats, Fotos und Videos, die darauf hindeuten, dass die Burschen tatsächlich an einem Sprengsatz tüftelten. Und wieder war es der 17-jährige Wiener mit bosnischen Wurzeln, der damit in Haft besonders kokettierte.

In einem Betreuungsgespräch gab der Jugendliche zu Protokoll, dass die Bombe nie gefunden werden würde. Und dass diese gebaut worden sei, um den Wiener Handyshop zu vernichten.

Ein ehemaliger Weggefährte der mutmaßlichen Bande setzte bei der Polizei dann auch noch ein bedrohliches Gerücht in die Welt: Ein angebliches Mitglied, damals noch nicht in Untersuchungshaft, warte bloß auf ein Kommando aus dem Gefängnis, um die Bombe bei dem Geschäft zu zünden.

Als es bei dem verdächtigen Burschen zu einer Razzia kam, war der aber gut vorbereitet: Sein Smartphone hatte er vor seiner Polizeieinvernahme einem Freund gegeben. Der wiederum schaute der Exekutive bei der Hausdurchsuchung etwas zu auffällig zu. Als die Polizeibeamten den Burschen ansprachen, übergab der ihnen das Handy des Verdächtigen – allerdings auf Werkseinstellungen zurückgesetzt. Von einer Bombe wollte der eigentliche Telefoninhaber nichts wissen. Und die Smartphone-Löschung sei – natürlich – nur ein Versehen gewesen. (Jan Michael Marchart, 16.4.2024)