Eigentlich hatten Sigrid Horn und Felipe Scolfaro Crema zu Beginn vor, nur vorübergehend auf dem Land zu leben. Doch dann haben sich ihr Pläne geändert und nun bekommen sie regelmäßig Besuch aus Wien.

"Mein Freund Felipe ist überzeugter Flipflop-Träger, er trägt die brasilianischen Havaianas eigentlich bei jedem Wetter, Sommer wie Winter, sogar Tiefschnee. Aber nur eigentlich! Denn nun hat er gemerkt, wie toll gestrickte Wollsocken sein können, vor allem hier oben im Mostviertel. Da sitzt er also mit mir auf der Couch, irgendwo im hügeligen Süden von Amstetten, und zelebriert in bunten Farben seinen Beitrag kultureller alpiner Integration. Und das macht er, wie ich find, mit großer Bravour!

Sigrid Horn und Felipe Scolfaro Crema sind während der Pandemie aufs Land gezogen – und geblieben.
Lisi Specht

Er hat sich den Alpen von Südamerika aus quasi in Schrittgeschwindigkeit angenähert, ist aus dem Supermoloch São Paulo erst ins etwas kleinere Rio de Janeiro gezogen, dann weiter nach Linz, von dort für ein paar Jahre nach Wien, und nun leben wir in Neuhofen an der Ybbs, beachtliche 3000 Einwohner groß! Für mich ist Neuhofen von Wien eine gefühlte Weltreise entfernt, doch für Felipe ist das wie U-Bahn-Fahren. In nicht einmal einer Stunde ist man von Amstetten am Wiener Westbahnhof. In São Paulo brauchst oft das Doppelte bis Dreifache, um von einem Ende der Stadt ans andere zu gelangen.

Wohngespräch Sigrid Horn und Felipe Scolfaro Crema
Das Klavier steht im Zentrum ihres Wohnens, sagen Sigrid Horn und Felipe Scolfaro Crema.
Lisi Specht

Es ist ein schönes Leben, das wir uns hier geschaffen haben. Mit Wärme und Geborgenheit, mit einem Klavier im Zentrum unseres Wohnens, gleich vis-à-vis ein Kamin, daneben ein Plattenspieler zum Musikhören mit unserer zweijährigen Tochter, und manchmal, wenn’s richtig flauschig und gemütlich ist, schlafen wir am Boden oder auf der Couch ein. Ich mach auch gern ein Nickerchen auf der Eckbank, auf so einer richtigen Omama-Eckbank, so wie man das aus alten Häusern in Niederösterreich kennt, nur halt ein bissl weniger schiach.

Eigentlich haben Felipe und ich davor in Wien gewohnt, in einer 37 Quadratmeter kleinen Substandardwohnung im neunten Bezirk. Urklein, aber voll fein in einem schönen Eck von Wien. Doch in der Corona-Pandemie ist uns die Decke auf den Kopf gefallen, und spätestens in der Schwangerschaft war klar, dass wir dringend mehr Platz brauchen. Wien ist verdammt teuer geworden, und sobald man eine feine Wohnung findet, die man sich auch leisten kann, gibt es zumindest 20 andere Leute, die in der gleichen Situation sind. Und echt, kein Vermieter will die Wohnung an zwei selbstständige Musikschaffende vergeben, schon gar nicht in Corona-Zeiten.

Wohngespräch Sigrid Horn und Felipe Scolfaro Crema
Neben dem Kamin steht ein Plattenspieler zum Musikhören mit der zweijährigen Tochter.
Lisi Specht

Meine Eltern waren damals gerade dabei, den alten Stadl neben ihrem Haus abzureißen und eine Art Eierlegende-Wollmilchsau-Vorsorge-Gästewohnung einzubauen. Also haben wir uns gedacht: Kommen wir halt hierher, für ein paar Wochen, für einen Monat, wer weiß, doch als wir uns im ersten Stock ein Aufnahmestudio mit schallschluckenden Platten eingerichtet haben und Felipe mit seinem Tonstudio eingezogen ist, war klar: Hier bleiben wir! Felipe sagt immer, er schaut aus dem Fenster aufs Windows-XP-Desktop-Image, und das ohne giftige Spinnen und Schlangen.

Wohngespräch Sigrid Horn und Felipe Scolfaro Crema
Im ersten Stock haben die beidenein Aufnahmestudio eingerichtet.
Lisi Specht

Eine gewisse Befürchtung war, dass wir durch den Umzug ins Mostviertel den Kontakt zur Wiener Szene verlieren, aber das Gegenteil ist eingetreten. Mit unserem Album Nest sind wir jetzt sogar für den Amadeus Award nominiert! Wir sind oft in Wien, immer öfter kommen die Leute zum Aufnehmen und Produzieren sogar zu uns. Für unser aktuelles Album Paradies, das gerade erschienen ist, war eine ganze Batterie an tollen Leuten hier. Ernst Molden hat in unserem Aufnahmestudio gesungen und Gitarre gespielt, echt lustig!

Wohngespräch Sigrid Horn
"Es ist ein schönes Leben, das wir uns hier geschaffen haben", sagen Sigrid Horn und Felipe Scolfaro Crema.
Lisi Specht

Ich freue mich, dass ich wieder da bin, wo ich aufgewachsen bin. Gleichzeitig seh ich viele Missstände, die ich in meinem 2018 erschienenen Lied baun kritisiere. Es wird gebaut, gebaut, gebaut, die Dörfer werden immer voller mit schiachn Schuhschachtelsiedlungen. Gerade jetzt wird geplant, die letzte frei zugängliche Grünfläche im Zentrum einem weiteren Betonbau zu opfern. Es braucht dringend ein Bürgerbeteiligungsverfahren. Ich hoffe, wir können die Verantwortlichen überzeugen. Das wäre gut für alle im Dorf." (PROTOKOLL: Wojciech Czaja, 15.4.2024)