Elektrischer Stuhl in Polizeimuseum
Die Todesstrafe gehört für Menschenrechtler ins Museum, wie dieser elektrische Stuhl im Polizeimuseum in Miami Beach. In Florida ist sie bis heute gültig, auch unter Ron DeSantis wird exekutiert.
Martin Wagner via www.imago-imag

Manchmal schwappen politische Ideen hoch, die man eigentlich für überkommen gehalten hat, zumindest in Europa. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić etwa forderte am vergangenen Wochenende die Wiedereinführung der Todesstrafe. Anlass war die grausame Tötung eines zweijährigen Mädchens. Der Autokrat Vučić hatte bereits vor einem Jahr nach der Todesstrafe gerufen, nachdem zwei Attentäter bei unterschiedlichen Angriffen insgesamt 19 Menschen erschossen hatten.

Wenn man auf eine Weltkarte blickt, scheint die Todesstrafe im Niedergang begriffen zu sein. Im Jahr 2023 galt noch in 55 von 199 Staaten die Todesstrafe, berichtet die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Zum Vergleich: Im Jahr 2003 waren es noch 78 Staaten.

Die Zahl der Länder mit Todesstrafe sinkt also. Aber: Laut den Daten von Amnesty zeichnen ein paar wenige Staaten für einen Großteil der Hinrichtungen auf der Welt verantwortlich. China führt mit geschätzt mehreren Tausend Hinrichtungen pro Jahr die Statistik an. Genaue Zahlen aus der Volksrepublik gibt es nicht, weil Peking Hinrichtungen als Staatsgeheimnis einstuft. Die Länder mit den meisten dokumentierten Hinrichtungen im Jahr 2022 waren der Iran (mindestens 576) und Saudi-Arabien (196).

Der Wunsch nach Rache

Die Befürworter und Bewahrer der Todesstrafe führen vor allem zwei Argumente an. Erstens gehe es um die Vergeltung besonders grausamer Verbrechen, zweitens habe sie auf Straftäter eine abschreckende Wirkung.

Organisationen wie Amnesty halten dem Rachegedanken die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte entgegen: "Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden." Die Todesstrafe verletze diese grundlegenden Menschenrechte. Auch das Argument der Abschreckung sei vielfach widerlegt worden. "In Staaten, die die Todesstrafe abgeschafft haben, ist die Mordrate nicht gestiegen. In Kanada ging sie nach Abschaffung der Todesstrafe im Jahr 1976 sogar zurück", sagt Amnesty-Experte Alexander Bojčević. Generell beobachtet er: "In Staaten mit einer unabhängigen Justiz gibt es einen klaren Trend gegen die Todesstrafe."

Wirkungslos

Je reifer eine Demokratie, umso unwahrscheinlicher sind Hinrichtungen, könnte man sagen. Aber auch die USA, eine rund 250 Jahre alte Demokratie, wenden die Todesstrafe noch an, auch im Jahr 2022 noch 18 Mal. Wobei die Vereinigten Staaten auch hier ein gespaltenes Land sind. In 23 Bundesstaaten ist die Todesstrafe abgeschafft, in 27 ist sie gesetzlich möglich. Laut dem Politikwissenschafter Peter Filzmaier lässt sich die fehlende Abschreckung durch das Instrument an den USA gut belegen. "Jene US-Bundesstaaten, die die Todesstrafe haben, zeigen keine niedrigere Kriminalitäts- und Schwerverbrechensrate als jene, wo sie längst abgeschafft ist", sagt Filzmaier. Der TV-Politologe schrieb einst seine Diplomarbeit zum Thema "Todesstrafe und Politische Kultur in den USA".

Im Gegensatz zu anderen Staaten gibt es in den USA eine Fülle von Studien zum staatlich gebilligten Hinrichten, auch in Hinblick auf Rassismus und Diskriminierung. So wies der Rechtsprofessor David Baldus Ende des vergangenen Jahrhunderts nach: Wenn Menschen wegen Mordes vor Gericht kamen, wurden sie für die Tötung von Weißen viermal häufiger zum Tode verurteilt als für die Tötung von Schwarzen. Es sei für Schwarze auch weitaus wahrscheinlicher, zum Tode verurteilt zu werden, als für Weiße, berichtet Amnesty.

Die Zahl der Staaten, die die Todesstrafen anwenden, geht seit Jahrzehnten kontinuierlich zurück
Die Zahl der Staaten, die die Todesstrafen anwenden, geht seit Jahrzehnten kontinuierlich zurück.
DER STANDARD/Getty Images

Nicht auf Bidens Agenda

US-Präsident Joe Biden versprach im Wahlkampf vor vier Jahren noch, die Abschaffung der Todesstrafe auf Bundesebene voranzutreiben und Druck auf die Bundesstaaten zu machen. Geschehen ist wenig. Politikerinnen und Politiker würden eben überlegen, "wofür sie ihr politisches Kapital einsetzen. Wenn man das zu kontroversen Fragen tut, die gerade nicht auf der Tagesordnung stehen, besteht die Gefahr, sich zu verkämpfen und Zustimmung zu verlieren", sagt Bojčević zu Bidens Tatenlosigkeit.

Neben den USA führt noch ein weiterer hochentwickelter Industriestaat Hinrichtungen durch: Japan. In einer von der Regierung beauftragten Umfrage sprachen sich vor ein paar Jahren 81 Prozent für die Beibehaltung aus. Als Henker treten in Japan drei gewöhnliche Gefängniswärter auf: Per Knopfdruck wird eine Falltür unter dem Galgen geöffnet, wobei die drei Beamten jeweils einen Knopf drücken und nicht klar wird, wer den Tod auslöste.

Marine Le Pen und Viktor Orbán
Marine Le Pen und Viktor Orbán kokettierten immer wieder mit der Einführung der Todesstrafe.
EPA

Beliebt bei Diktatoren

Die Hinrichtungsmethoden verändern sich immer wieder und unterscheiden sich in den Erdteilen. In China, Nordkorea oder Belarus gibt es nach wie vor Erschießungen, in Saudi-Arabien auch noch Enthauptungen mit dem Schwert. Im US-Bundesstaat Alabama wurde im Jänner erstmals ein Mensch mit Stickstoff über eine Gesichtsmaske hingerichtet – die EU kritisierte dies als besonders grausam. In aller Regel wird in den USA heute mit Giftspritze exekutiert. Wobei Amnesty betont: Es gibt keine humane Form der Todesstrafe.

Wird die Menschheit jemals das staatlich legitimierte Töten überwinden, vielleicht noch in diesem Jahrhundert? Amnesty-Vertreter Bojčević gibt sich vorsichtig optimistisch: "Ich hoffe nicht, dass es die Todesstrafe in 75 Jahren noch geben wird, aber ausschließen kann man es auch nicht. In der internationalen Gemeinschaft möchte man aber wohl nicht der Botschafter jenes Landes sein, das als letztes die Todesstrafe anwendet. Ich hoffe da auf internationalen Gruppendruck."

Politikwissenschafter Filzmaier ist weniger zuversichtlich: "Es wird zwar die Zahl der Staaten weiter zunehmen, die die Todesstrafe entweder abschaffen oder ihr altes Todesstrafenrecht langfristig nicht mehr anwenden. Aber in Nichtdemokratien ist die Abschaffung nahezu auszuschließen. Eine Reihe von Demokratien hat die Todesstrafe auch sehr wohl noch im Militärstrafrecht." (Lukas Kapeller, 13.4.2024)