Wien – Die Arbeiten an der vor mehr als drei Jahren in Angriff genommenen Bauarbeiter-Identitätskarte ("Bau-ID-Card") stocken. Das zum Aufspüren von Schwarzarbeit sowie Lohn- und Sozialdumping in der Bauwirtschaft entworfene Leuchtturmprojekt hat laut STANDARD-Informationen einen schweren Gendefekt: Das für den Kampf gegen Abgaben- und Sozialbetrug zuständige Amt für Betrugsbekämpfung mit seinem Herzstück, der Finanzpolizei, ist in die Bau-ID-Card weder eingebunden, noch gibt es Schnittstellen für den Datenaustausch mit der Behörde. Die Finanzpolizei habe keinen Zugang zur Bau-ID-App. Damit sei wirkungsvoller Schutz vor Lohn- und Sozialdumping illusorisch.

Schwarzarbeit, Lohn- und Sozialbetrug aufzudecken ist erklärtes Ziel der Politik. Doch die Errichtung von Kontrollmechanismen und der Datenaustausch sind schwierig. Zwei Handwerker zeichnen sich als Schattenriss auf einer Baustelle in Berlin ab.
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Dieser Umstand mag verwundern, gehörten Schnittstellen zu Sozialversicherung und Finanzpolizei doch zu den Grundvoraussetzungen des neuen elektronischen Ausweises für Bauarbeiter. Das war im Jahr 2018, als das innovative Megaprojekt zwischen den Sozialpartnern des Fachverbands Bauindustrie in der Wirtschaftskammer und der Gewerkschaft Bau/Holz akkordiert wurde. Eine Branchenlösung im Eigenbau wollte insbesondere Bau-Gewerkschaftschef Josef Muchitsch auf die Beine stellen, um im Kampf gegen die Schwarzarbeit am Bau an Schlagkraft zu gewinnen. Als Vehikel, über das die heiklen Aufgaben abgewickelt werden sollen, verständigte man sich auf die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK). Diese Körperschaft öffentlichen Rechts ist im Arbeitsministerium angesiedelt und bekam mit Zustimmung des Ministeriums die Erlaubnis, zu diesem Zweck eine Tochtergesellschaft zu gründen, die Bau-ID GmbH. Sie sollte unter strengen Auflagen in der Lage sein, die in der BUAK vorhandenen hochsensiblen Sozialversicherungsdaten zu verwenden – DER STANDARD berichtete.

So weit ist man augenscheinlich noch nicht. Allein das Einchecken in das neue Datentool gestalte sich überaus langwierig, berichten mit der Materie vertraute Personen. Denn es müsse jede einzelne Plastikkarte mittels Scanner erfasst und hochgeladen werden. Auch bei der Verknüpfung mit Handydaten spieße es sich – obwohl das Smartphone inzwischen als Personalausweis oder Führerschein genutzt werde. Hinzu kommt, dass es für jene Bauunternehmen und ihre Subauftragnehmer, die bereits seit Jahren eine vergleichbare IT-Lösung im Einsatz haben, keine Schnittstelle für den Transfer ihrer Daten in das neue Bau-ID-System gibt. Das liege unter anderem daran, dass die von den Sozialpartnern gezimmerte Lösung auf freiwilliger Basis fußt. Auf absehbare Zeit wird es in der heimischen Bauwirtschaft also zwei Systeme geben, die nicht kompatibel sind.

Ein Sozialpartnerprojekt

Bei den Verantwortlichen des Projekts gibt man sich extrem zugeknöpft. Einer der wichtigsten Treiber, Bau-Gewerkschaftschef Muchitsch, gibt zu Fahrplan und Zustand des einst als richtungsweisend gepriesenen Projekts keine Stellungnahme ab, er verweist auf Anfrage des STANDARD auf die Geschäftsführung der Bau-ID GmbH. Geschäftsführer Philipp Staats, ein Unternehmensberater, der erst Ende September 2023 als Chef installiert wurde, legt Wert auf die Feststellung, dass es sich bei der Bau-ID-Card um ein Projekt der Sozialpartner handele. "Es ist zukunftsweisend, wie hier Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping gesetzt werden sollen", stellt Staats auf Anfrage des STANDARD klar. Auf Details und Problembereiche geht er in der Folge nicht ein. Das Projekt und die technischen Abläufe befänden sich noch in der finalen Abstimmung, wann das Projekt breit ausgerollt werde, gebe man zu gegebenem Zeitpunkt bekannt. Im Übrigen sei eine schrittweise Einführung bei einem IT-Projekt dieser Art nichts Ungewöhnliches. Firmen könnten sich für das Bau-ID-Portal bereits registrieren, Karten für ihre Mitarbeiter bestellen und diese auch auf ersten Baustellen einsetzen. Auch könnten tagesaktuelle Meldedaten bereits abgefragt werden.

Mit der Finanzpolizei stehe man im Kontakt, betonte der Chef der Bau-ID GmbH. Er spricht damit einen heiklen Punkt an. Denn die Kontaktaufnahme dürfte reichlich spät erfolgt sein, nämlich erst, nachdem die Bau-ID-Card erstmals freigeschalten wurde, wie mit der Materie vertraute Insider berichten. Das sei wenig vertrauensbildend gewesen, dem Vernehmen nach gab es einen ernsthaften Krach mit dem im Finanzministerium angesiedelten Amt für Betrugsbekämpfung. Der Hintergrund: Um Schwarzarbeit aufspüren zu können, braucht es nicht nur die Meldedaten der Sozialversicherung, sondern vor allem die Zahl der Wochenstunden. Eine Anmeldung allein, also die Übermittlung der Beitragsgrundlagen, lässt keinen Schluss über das Ausmaß des zu den Wochenstunden gehörigen Entgelts zu. Um dies festzustellen, müssten Finanzpolizei und Amt für Betrugsbekämpfung wie bisher Razzien auf Baustellen durchführen, was zeit- und ressourcenaufwendig sei.

Reparatur notwendig

Wie es nun weitergeht im Zeitplan? Darüber schweigen sich die Verantwortlichen ebenso aus wie über die Kosten des neuen Systems. Auf rund zehn Millionen Euro taxieren Branchenkenner den bisherigen Aufwand. Nun sei wohl eine umfangreiche Reparatur notwendig, sonst werde die Bauarbeiter-Identitätskarte nicht so bald ein Erfolg, sagen mit komplexen IT-Projekten nach Vorbild der E-Card vertraute IT-Experten. Dem Grunde nach fehle eine Plattform, die idealerweise von staatlichen Einrichtungen wie dem Bundesrechenzentrum betrieben werde und den sicheren Datenaustausch zwischen Sozialversicherung, Finanzverwaltung und Unternehmen organisiere. An diese intermediäre Datenplattform müssten dann branchenspezifische Lösungen für Bauwirtschaft, Transportwirtschaft, Reinigungswesen oder andere notorisch unter Lohn- und Sozialdumping-Verdacht stehende andocken.

All dies ist aus Datenschutzgründen grundsätzlich extrem heikel. Allerdings hat die EU genau für diesen Zweck 2019 den Data Governance Act beschlossen, die EU-Richtlinie über offene Daten und die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors. 2022 wurde mit der EU-Verordnung (EU) 2022/868 nachgeschärft. Der Daten-Governance-Rechtsakt regelt, wie dieser Austausch öffentlicher Daten vonstattengehen kann (siehe Wissen). (Luise Ungerboeck, 16.4.2024)